SG Magazin: Sales & Operations Planning - oder mit Bordmitteln durch schweres Wetter

von Ulrich Schroers · erschienen am 31. Juli 2022 in SG Sweets Global Network

Unsere Geschäftswelt befindet sich aktuell in schwerem Wetter. Covid-19 haben wir gefühlt überstanden, da führt der Ukraine-Krieg zu Auswirkungen auf das Konsumentenverhalten und entsprechend stark schwankende Nachfrage in fast allen On- und Offline Vertriebskanälen. Dazu kommt eine Supply Chain, die selbst mit immer wiederkehrenden Sturmböen zu kämpfen hat: sei es durch einen aus dem Ruder gelaufenen Containerfrachter oder eine ostasiatische Werkbank, die aus dem Takt gekommen ist. Resultat: leere Regale, Preiserhöhungen und jeden Tag eine neue Lage. „Schweres Wetter“ sagt der Seefahrer dazu.

Eine halbwegs verlässliche kurz- und mittelfristige Absatzplanung sowie eine darauf basierende Produktions- und Kapazitätsplanung, Finanzplanung und Steuerung sind unter diesen widrigen Bedingungen schwierig. Von groß angelegten S&OP (Sales & Operations Planning)-Projekten mit veränderten Prozessen, neuer IT und umfangreicher Einbindung des Personals lässt man in solchen Situationen auch lieber die Finger, da alle Hände an Deck gebraucht werden.

Wohl dem, der eine integrierte Geschäftsplanung mit aufeinander abgestimmten Teams, sauberen Prozessen und dokumentierten sowie flexiblen faktenbasierten Entscheidungen hat. Und wenn nicht? Auch nicht schlimm, denn im Grunde kann jede Organisation mit Bordmitteln durch den Sturm segeln und aus den Erfahrungen lernen. Im Folgenden erkläre ich meine persönlichen Top Ten der S&OP-Regeln für den Ritt durch die Wellen:

1. Demand Driven

Prozesse starten vom Kunden aus – nicht von der Produktion oder den Lagerbeständen. Informationen für die kurzfristige Absatzplanung (insbesondere Promotions, Neulistungen) werden auf Kundenebene durch den KAM generiert. Langfristige Marktinformationen, Neuprodukte, Sortimentsänderungen etc. fließen durch Marketing und/oder Produktmanagement im zweiten Schritt ein.

2. You’ve got to have a plan

Jemandem, am besten an der Schnittstelle von Vertrieb, Marketing, Logistik, Produktion und Finanzen, gehört der Absatz-Plan. Gerne jemand mit erweiterten Excel-Kenntnissen, beispielsweise ein erfahrener Controller, der aufgrund seiner Funktion keine Interessenskonflikte hat.

3. One set of numbers

Es gibt eine sauber aufbereitete Datengrundlage für das Unternehmen, die allen Abteilungen als Grundlage für Entscheidungen dient. Es gibt viele tolle Tools für S&OP, aber wenn‘s schnell gehen muss, reicht eben auch Excel.

4. Gap-Analyse

Ein Delta zwischen Vertriebszielen und aktueller Planung auf Kundenebene ist eine wichtige Information. Was ist der Grund des Deltas? Sind die geplanten Promotions einkalkuliert? Rechnet man mit den Neulistungen auch bei den Kundenbetreuern? Reflektiert der Listungs-Stand die Erwartungen?

5. Mut zur Wahrheit

Der Plan darf nicht mit unrealistischen Hoffnungen, Wünschen und Druck auf die Ausführenden verzerrt werden. Die Konsequenzen wären fatal und wären spätestens am Geschäftsjahresende sichtbar. Entsprechend muss ein Klima der Offenheit herrschen, bei dem keiner der Beteiligten Angst hat, die Wahrheit zu sagen.

6. Fokus

Nämlich auf das, was zählt: Permanente Belieferung eines Großkunden oder saisonales Geschäft von vielen Händlern? Häufig führt die Einführung von S&OP in letzter Instanz zu strategischen Entscheidungen, die der Skipper, sprich Geschäftsführung/Vorstand, dann treffen muss.

7. Measure Success

Oder „sind wir auf Kurs“? Ob wir auf dem richtigen Weg sind, sehen wir an zwei Resultaten: Sind die Kunden zufrieden (Service-Level, keine Out of Stocks) und arbeiten die Beteiligten Hand in Hand zusammen? Beides ist mess- und wahrnehmbar – es muss nur getan werden, um gegebenenfalls gegenzusteuern.

8. Prozess

S&OP ist kein Ein-Tages-Workshop, sondern ein Prozess, der sich einmal im Monat wiederholt:
Woche 1: Absatzplanung mit den KAMs auf Kundenebene und Konsolidierung;
Woche 2: Abgleich mit Marketing-Plan;
Woche 3: Feedback Produktion & Logistik;
Woche 4: Diskussion des Plans und notwendige Entscheidungen auf Senior-Management-Ebene und Kommunikation der Ergebnisse an die jeweiligen Teams.

9. Die Mannschaft

Es sind die Mitarbeiter und Führungskräfte aus den unterschiedlichen Abteilungen, die den Prozess am Laufen halten und kontinuierlich verbessern. Ohne die Überzeugung des Skippers wird S&OP weder eingeführt noch gelebt. Sie müssen den Kurs vorgeben und auf den Kompass gucken.

10. Gesunder Menschenverstand

Die meisten der Top Ten S&OP-Regeln sind keine abstrakten Methoden, sondern seit Jahren gelebte Praxis. Aktuell führe ich eine Basisversion von S&OP bei einem Start-up in der Food-Industrie ein. Was es braucht ist eine Idee, wie es werden soll. Crewmitglieder, die wollen, und einen, der die einzelnen Teile zusammensetzt und sich kümmert. Also alles, was selbst auf dem kleinsten Boot vorhanden sein sollte – entsprechend S&OP mit Bordmitteln.

Ulrich Schroers

Diplom-Betriebswirt (FH) Ulrich Schroers ist Partner bei Bavaria Consulting. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind Wachstum, Steuerung und Prozesse. Als Berater und Interim-Manager zählen mittelständische Unternehmen und Startups zu seinen Kunden. Er ist passionierter Segler und hat 2002 mit Freunden den Atlantik in einer Segelyacht überquert.
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