SG Magazin: Vorwärtsintegration der Industrie

von Franz J. Doll · erschienen am 1. April 2020 in SG Sweets Global Network

Die Vorwärtsintegration von Herstellern im LEH kann die Realisierung eigener Online- oder Offline-Stores umfassen, wobei der institutionelle Handel dabei umgangen wird. Es ist dies eine Form des Direktvertriebs, welche neben Flagship-Stores, Factory-Outlet-Centern oder Shop-in-Shop-Systemen eine weitere Alternative dieser Vertriebsform darstellt.

Eine Vorwärtsintegration der Industrie mit der Übernahme von Handelsfunktionen kann in eigenen Outlets erfolgen (z.B. Lindt). Alternativ können externe Unternehmen aufgekauft und in die Wertschöpfungskette integriert werden. So hat beispielsweise die Brauerei Radeberger, ein Tochterunternehmen des Oetker-Konzerns, im Jahr 2017 das Lieferservice-Unternehmen A&O in Berlin erworben mit dem Versuch, die Distribution selbst zu steuern. 

Mit einer Vorwärtsintegration versuchen die Unternehmen, verschiedene Zielsetzungen wie Absatzziele, Profitziele, aber auch Marktmachtziele positiv zu beeinflussen.

Grundsätzlich wird die Vorwärtsintegration von den Experten als ein gutes Instrument gesehen, um Verbraucherdaten und Consumer Insights zu generieren.

Jedoch werden die Möglichkeiten einer extensiven Vorwärtsintegration im LEH von zahlreichen Experten als gering eingeschätzt. Begründet werden die Aussagen häufig mit der Macht des Handels und damit verbundenen Auslistungen. So formulierte es ein Top-Manager drastisch: „Es ist die Frage, ob 3 Prozent online wichtiger sind als 97 Prozent im stationären Handel.“

Neben den Sortimentsbereinigungen beim Aufbau einer flächendeckenden Distribution erscheint ein weiterer Ausbau der Eigenmarken im LEH denkbar.

Als weitere Gründe werden fehlende Sortimentskompetenz und Schwierigkeiten in der Finanzierung gesehen (z.B. Tchibo).

So wird der Aufbau eines eigenen Online-Shops von Herstellern aus Expertensicht kritisch gesehen sowohl im Lebensmittelbereich als auch Non-Food-Sektor. Dabei stellt sich vor allem die Frage, ob ein Konsument einen Mehrwert darin sieht, einen herstellerspezifischen Online-Bereich zu besuchen oder ob es nicht eines herstellerübergreifenden Ansatzes bedarf. 

Die größten Erfolgsaussichten für das Konzept der Vorwärtsintegration räumen die Experten Premiumherstellern mit einem speziellen Mehrwert und hohen Margen in Nischenmärkten ein (z.B. Lindner Esskultur).

Des Weiteren werden aus Expertensicht zwei Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung genannt: ein breites Sortiment und sehr starke Marken (z.B. Ritter Sport, Lindt, Nivea).

Auch erscheint der Standort von zentraler Bedeutung und erfolgversprechende Konzepte benötigen dabei absolute Hochfrequenzlagen. 

Zu den Hindernissen, welche gegen eine extensive Ausweitung der Vorwärtsintegration spricht zählt auch, dass nicht alle Hersteller über sehr starke Marken verfügen. Und selbst wenn starke Marken im Portfolio eines Herstellers vorzufinden sind wäre die Bündelungsfunktion des Handels nach Expertenmeinung im Zweifelsfall wichtiger als die Markenstärke eines Herstellers.

Auch könnte es nach Aussagen der Experten sein, dass die Attraktivität für die Konsumenten mit immer mehr Marken sinken könnte, d.h., je mehr Marken eigene Shops eröffnen, desto weniger würden sich die einzelnen Marken durchsetzen, da die Attraktivität für die Verbraucher sinkt. 

Als weitere Gründe für eine eher skeptische Betrachtung einer weitreichenden Vorwärtsintegration werden von den Experten wichtige und ungelöste logistische Fragestellungen und damit verbunden auch wirtschaftliche Betrachtungen durch hohe Investitionen angeführt.

Als sehr junges Beispiel für einen drastischen Rückbau der eigenen Handelsaktivitäten kann mymuesli herangezogen werden. Das Unternehmen straffte bis Ende 2018 sein Filialnetz nahezu um die Hälfte auf knapp 30 Läden. Darüber hinaus werden den befragten Experten auch die unterschiedlichen und bislang erfolglosen Versuche von Ferrero genannt.

Es ist nach Expertenmeinung auch künftig davon auszugehen, dass die Maßnahmen der Vorwärtsintegration in der Industrie eher als Brand Building oder Flagship-Stores denn als Umsatzbringer gesehen werden. Möglich erscheint in der Zukunft auch die Möglichkeit einer Einrichtung von Pop-up-Stores.

Autoren: Prof. Dr. Thomas Bogner und Franz J. Doll Managing Partner Bavaria Consulting

Franz J. Doll

Franz J. Doll bekleidete in seiner Karriere mehrere Führungspositionen in der Food-Industrie. 1998 gründete er Bavaria Consulting, die sich als Beratungsunternehmen auf die Food-Industrie konzentriert. Mittlerweile besteht die Bavaria Consulting aus 10 Partnern, die jeweils eigene Top Management Erfahrung aus der Food-Branche mitbringen. Mit den weiteren Gründungen der Bavaria Human Capital - Gesellschaft für Management- & Personalberatung - und der Bavaria Mergers & Acquisitions - Gesellschaft für Mergers & Acquisitions und Turnaround Beratung - werden den bedeutenden Partnern und Kunden eine einzigartige Kompetenzbündelung der Bereiche Strategie, Organisation / Personal, M&A und Turnaround geboten.
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